Inländischer Wohnsitz als Voraussetzung für die Festsetzung von Kindergeld für Auslandsstudierende
Entschließt sich das Kind dazu, länger als ein Jahr zu Ausbildungszwecken im außereuropäischen Ausland zu bleiben, behält es seinen Inlandswohnsitz in der elterlichen Wohnung nur dann bei, wenn es diese im Folgenden regelmäßig mehr als die Hälfte der ausbildungsfreien Zeit nutzt. Hierbei ist im Regelfall auf das Ausbildungs-, Schul- oder Studienjahr abzustellen.
Hintergrund
Die Klägerin bezog laufend Kindergeld für ihre Tochter T, die während der Schulausbildung und der Absolvierung eines freiwilligen soziales Jahres im Haushalt der Klägerin wohnte. Im Jahr 01 flog T nach Australien und schrieb sich dort für ein Auslandsstudium zunächst für ein Jahr ein. Im ersten Studienjahr verbrachte T die vorlesungsfreie Zeit in Australien, wo die Klägerin sie besuchte.
Im Juni 02 entschloss sich T zu einer Verlängerung ihres Auslandsstudiums.
Bis zum Erwerb ihres Zeugnisses im Jahr 04 hielt sich T zweimal in der in Deutschland belegenen Wohnung der Klägerin auf. Während ihres ersten, über 60 Tage dauernden Aufenthalts war T eine Woche im Krankenhaus. Anschließend fanden ambulante Rehabilitationsmaßnahmen statt. Der zweite Aufenthalt im Inland dauerte von Dezember 03 bis zum Januar 04.
Die Familienkasse stellte die Kindergeldzahlung für T ab August 03 ein. Zudem hob sie die Kindergeldfestsetzung für T ab dem Jahr 01 auf und forderte das von 01 bis Juli 03 für T gezahlte Kindergeld zurück. Die Familienkasse ging davon aus, dass T ihren Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt im Jahr 01 nach Australien verlegt habe.
Die Klage hatte nur für die Monate bis einschließlich Juni 02 Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ging davon aus, dass T zunächst nur für ein Jahr im Ausland studieren wollte und ihren Inlandswohnsitz auch ohne Besuche in Deutschland bis zu ihrem Entschluss, länger in Australien zu studieren, beibehielt.
Entscheidung
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat entschieden, dass T ihren Wohnsitz bei der Klägerin im dritten Studienjahr aufgegeben habe, als im Dezember 03 feststand, dass sie ihre ausbildungsfreie Zeit nicht überwiegend in der elterlichen Wohnung verbringen würde. Der Kindergeldanspruch der Klägerin sei somit erst ab Januar 04 entfallen.
Nach ständiger Rechtsprechung behält ein Kind, das zu Ausbildungszwecken im Ausland untergebracht ist, seinen Inlandswohnsitz in der elterlichen Wohnung (nur dann) bei, wenn dem Kind dort weiterhin zum dauerhaften Wohnen geeignete Räumlichkeiten jederzeit zur Verfügung stehen und erkennbar ist, dass das Kind die elterliche Wohnung nach wie vor auch als seine eigene betrachtet. Dazu muss das Kind die elterliche Wohnung mit einer gewissen Regelmäßigkeit – wenn auch in größeren Zeitabständen – aufsuchen. Bei der Frage, wie häufig das Kind die elterliche Wohnung aufsuchen muss, damit es eine Wohnung i. S. d. § 8 AO beibehält, ist zwischen einjährigen und mehrjährigen Auslandsaufenthalten zu Ausbildungs-, Schul- oder Studienzwecken zu unterscheiden.
Bei bis zu einem Jahr dauernden Auslandsaufenthalten zu Ausbildungs-, Schul- oder Studienzwecken führt das Fehlen unterjähriger Inlandsaufenthalte des Kindes regelmäßig für sich allein noch nicht zu einer Aufgabe des Wohnsitzes.
Bei einem mehrjährigen, d. h. auf mehr als einem Jahr angelegten Auslandsaufenthalt, behält ein Kind seinen inländischen Wohnsitz in der elterlichen Wohnung hingegen regelmäßig nur dann bei, wenn es sich während der ausbildungsfreien Zeiten überwiegend im Inland aufhält und die Inlandsaufenthalte Rückschlüsse auf ein zwischenzeitliches Wohnen zulassen. Das ist der Fall, wenn das Kind während seines Inlandsaufenthalts die Wohnung nutzt; kurze Unterbrechungen – z. B. zu Besuchszwecken oder wegen eines Krankenhausaufenthalts – sind unschädlich. Bei mehrjährigen Auslandsaufenthalten nicht ausreichend sind kurze, üblicherweise durch die Eltern-Kind-Beziehung begründete Besuchsaufenthalte in der elterlichen Wohnung von zwei bis drei Wochen pro Jahr.
War ein Auslandsaufenthalt zunächst nur auf ein Jahr angelegt, entschließt sich das Kind jedoch, den Auslandsaufenthalt zu verlängern, gelten die Kriterien, welche die Rechtsprechung für einen mehrjährigen Auslandsaufenthalt entwickelt hat, (erst) ab dem Zeitpunkt, in dem sich das Kind zu einer Verlängerung entschließt. Das Fehlen unterjähriger Inlandsaufenthalte bis dahin hat nicht die Aufgabe des Wohnsitzes zur Folge. Ab dem Entschluss, länger als ein Jahr zu Ausbildungszwecken im Ausland zu bleiben, behält das Kind seinen Inlandswohnsitz regelmäßig nur dann bei, wenn es sich im Folgenden im Ausbildungs-, Schul- oder Studienjahr regelmäßig mehr als die Hälfte der ausbildungsfreien Zeit im Inland aufhält und dabei – von kurzen Unterbrechungen abgesehen – die inländische Wohnung nutzt.
Die mangelnden Heimfahrten im ersten Studienjahr sind für den Kindergeldanspruch folgenlos und bei der Berechnung, ob T im Anschluss daran die überwiegende ausbildungsfreie Zeit im Inland bzw. in der elterlichen Wohnung zugebracht hat, nicht zu berücksichtigen.
Infolge des Entschlusses der T, das Studium in Australien zu verlängern, galten im zweiten Studienjahr die Kriterien für einen mehrjährigen Auslandsaufenthalt
Da T im zweiten Studienjahr über 60 Tage in Deutschland war und sich dabei – von kurzzeitigen Unterbrechungen wie dem Krankenhausaufenthalt abgesehen – in der inländischen Wohnung der Klägerin aufhielt, ist davon auszugehen, dass sie auch im zweiten Studienjahr noch einen Wohnsitz i. S. d. § 8 AO "innehatte".
T hielt sich im dritten Studienjahr nur noch gut zwei Wochen im Haushalt der Klägerin auf. Dass T im dritten Studienjahr nicht mehr als die Hälfte ihrer ausbildungsfreien Zeit in Deutschland verbringen würde, stand im Streitfall bereits vor ihrer Ankunft fest. Nach den genannten Grundsätzen spricht dies dafür, dass T ihren inländischen Wohnsitz im Dezember 03 aufgegeben hat.