Artikel aus dem Themenbereich: Steuerrecht Unternehmer vom 05. September 2022

Vorsteuerabzug ausnahmsweise auch ohne ordnungsgemäße Rechnung

Liegt keine ordnungsgemäße Rechnung vor, ist in der Regel der Vorsteuerabzug in Gefahr. Ausnahmsweise kann jedoch der Vorsteuerabzug auch ohne das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Rechnung gewährt werden, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind.

Hintergrund

Die Klägerin, eine in Asien tätige Rohstoffhändlerin, tätigte erstmals und einmalig im Jahr 2018 ein in Deutschland steuerbares Geschäft mit der Lieferantin B Ltd. und mit der Abnehmerin D über den Verkauf von Gas. Die Klägerin stellte der Abnehmerin D Umsatzsteuer von 896.933 EUR in Rechnung. Dagegen wies die Rechnung der B Ltd. an die Klägerin vom 12.12.2018 nur den Nettobetrag aus. Ein Umsatzsteuerausweis war nicht erfolgt, da beide Vertragsparteien irrtümlich zunächst von einem umsatzsteuerfreien Umsatzsteuerlager ausgegangen waren. Am 23.01.2019 erstellte die B Ltd. eine korrigierte Rechnung an die Klägerin mit erstmaligem Ausweis von Umsatzsteuer von 912.082 EUR.
Die Vorsteuer von 912.082 EUR machte die Klägerin erstmals in der Umsatzsteuer-Voranmeldung für Januar 2019 geltend und beantragte die Verrechnung mit der Umsatzsteuer für 2018 von 890.163 EUR. Das Finanzamt lehnte die beantragte Verrechnung ab. Da die im Ausland ansässige Klägerin für 2019 keine inländischen Umsätze erzielt hatte, konnte der Vorsteuerabzug für 2019 nicht im allgemeinen Besteuerungsverfahren geltend gemacht werden. Auch eine Erstattung im Vorsteuervergütungsverfahren kam nicht in Betracht, da nach Ansicht des Finanzamts keine Gegenseitigkeit gegeben war.

Entscheidung

Das Finanzgericht entschied, dass der Klägerin der Vorsteuerabzug bereits für das Jahr 2018 zustand. Die Klägerin ist für das Jahr 2018 im Regelbesteuerungsverfahren gem. § 18 Abs. 3 UStG zu veranlagen. Für den Veranlagungszeitraum 2019, in dem erstmals eine ordnungsgemäße Eingangsrechnung mit Umsatzsteuerausweis vorlag, wäre das besondere Vergütungsverfahren gem. § 18 Abs. 9 UStG anstatt der Regelbesteuerung anzuwenden gewesen. Jedoch wäre die Vorsteuervergütung ausgeschlossen, da die Klägerin in einem Staat ansässig ist, in dem die Gegenseitigkeit der Vorsteuervergütung nicht gegeben ist.

Das Vorsteuervergütungsverfahren gem. § 18 Abs. 9 UStG findet für 2018 keine Anwendung, da die Klägerin mit der Gaslieferung an D im September 2018 eine im Inland steuerbare Lieferung ausgeführt hat. Im Gegensatz zum besonderen Vergütungsverfahren ist das oben genannte Gegenseitigkeitserfordernis in dem im vorliegenden Fall anzuwendenden Regelbesteuerungsverfahren gem. § 18 Abs. 3 UStG nicht anwendbar. Ein Unternehmer kann den Vorsteuerabzug grundsätzlich erst geltend machen, wenn er in Besitz einer ordnungsgemäßen Rechnung ist. Die ursprüngliche Rechnung der B Ltd. vom 12.12.2018 ohne gesondertem Umsatzsteuerausweis berechtigte danach die Klägerin nicht zum Vorsteuerabzug.

Vorliegend ist der Vorsteuerabzug aus der Lieferung der B Ltd. jedoch auch ohne ordnungsgemäße Rechnung möglich. Ausnahmsweise kann aufgrund des Grundprinzips der Neutralität der Mehrwertsteuer der Vorsteuerabzug ohne Erfüllung der formellen Anforderungen gewährt werden, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind. Diese waren hier gegeben, da die umsatzsteuerbelastete Eingangsleistung für die Erbringung einer steuerbaren und steuerpflichtigen Ausgangsleistung verwendet worden ist. Insoweit ließ sich der Umfang der Vorsteuerabzugsberechtigung der Klägerin bereits aufgrund der im Jahr 2018 vorliegenden Unterlagen ermitteln.

Die zunächst fehlerhafte Rechnung ist zudem durch die berichtigten Rechnungen vom 23.01.2019 mit Rückwirkung geheilt worden. Somit war die Klägerin auch deshalb im Streitjahr 2018 zum Vorsteuerabzug berechtigt. Wird eine zunächst nicht den Anforderungen der §§ 14, 14a UStG entsprechende ausgestellte Rechnung später nach § 31 Abs. 5 UStDV berichtigt, ist das Recht auf Vorsteuerabzug aufgrund der berichtigten Rechnung für den Besteuerungszeitraum auszuüben, in dem die Rechnung ursprünglich ausgestellt wurde. Allerdings wäre nach den Kriterien der BFH-Rechtsprechung eine Rückwirkung der Rechnung nicht möglich, weil diese in hohem Maße fehlerhaft war (u. a. kein Umsatzsteuerausweis, mangelhafte Leistungsbeschreibung).

Der am 23.01.2019 berichtigten Rechnung kommt aber aufgrund der besonderen Konstellation des Streitfalls und abweichend von der Rechtsprechung des BFH eine Rückwirkung für den Besteuerungszeitraum 2018 zu. Schließlich ist es nicht sachgerecht, im Streitfall die Rückwirkung zu verneinen, da dies zu einem endgültigen Versagen des Vorsteuerabzugs führen würde. Vorliegend gingen die Vertragspartner zunächst von der Anwendung der Umsatzsteuerlager-Regelung des § 4 Abs. 4a UStG aus. Dabei ist zu berücksichtigen, dass B Ltd. die Rechnungen bereits im Januar 2019 berichtigt hat. Damit wurde die Korrektur zwar erst nach Ablauf des Besteuerungszeitraums vorgenommen, jedoch zu einem so frühen Zeitpunkt, dass bei Ablauf der Abgabefrist der Umsatzsteuererklärung für 2018 feststand, dass und in welchem Umfang die Klägerin zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Es wäre daher nicht gerechtfertigt, den Vorsteuerabzug endgültig allein an dem formellen Kriterium scheitern zu lassen, dass die Rechnung erst im Januar 2019 vorgelegen hat.


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