Artikel aus dem Themenbereich: Steuerrecht Unternehmer vom 15. Februar 2024

Ohne tatsächliche Verlusttragung keine grenzüberschreitende Verlustverrechnung

Eine grenzüberschreitende Verrechnung von Verlusten einer ausländischen Tochtergesellschaft bei der inländischen Muttergesellschaft setzt voraus, dass die "Organschaft" zuvor in dem Sinne faktisch "gelebt" worden ist, dass die von der Tochtergesellschaft erwirtschafteten Verluste von der Muttergesellschaft nach den Vorgaben der anzuwendenden nationalen Regelungen tatsächlich getragen worden sind.

Hintergrund

Die Klägerin ist eine GmbH mit Sitz im Inland. Sie war alleinige Gesellschafterin der … s.a.r.l. (s.a.r.l.) mit Sitz in Frankreich. Die s.a.r.l. erzielte seit Jahren Verluste (Verlustvortrag zum 31.12.2011: … EUR). Im Streitjahr 2012 erwirtschaftete sie einen Verlust von … EUR.
Bereits im Jahr 2011 wurde entschieden, den Geschäftsbetrieb der s.a.r.l. einzustellen; der Gesellschafterbeschluss vom 30.10.2012 sah die Auflösung der s.a.r.l. mit Wirkung zum 31.10.2012 ohne Liquidation durch Übertragung ihres Vermögens als Ganzes auf die Klägerin. Am 25.01.2013 wurde die s.a.r.l. mit Wirkung zum 31.10.2012 im französischen Handelsregister gelöscht.

Die Klägerin hatte die s.a.r.l. bis zur tatsächlichen Einstellung des aktiven Geschäftsbetriebes mit Waren beliefert. Zu den Forderungen aus den Warenlieferungen ergriff die Klägerin keine Beitreibungsmaßnahmen gegenüber der s.a.r.l., obwohl diese keine Zahlungen leistete. Allerdings nahm die Klägerin Wertberichtigungen auf die Forderungen vor. Im Jahresabschluss zum 31.12.2009 erfolgte eine Wertberichtigung in Höhe des von der s.a.r.l. bilanzierten (nicht durch Eigenkapital gedeckten) Fehlbetrags. Zum 31.12.2010 schrieb die Klägerin die noch bilanzierten Forderungen mit der Begründung in voller Höhe ab, dass der Geschäftsbetrieb der s.a.r.l. eingestellt werden solle. Auch in den Jahren 2011 und 2012 lieferte die Klägerin noch Waren an die s.a.r.l.; die Forderungen wurden von der Klägerin zum jeweiligen Jahresende mit derselben Begründung in voller Höhe abgeschrieben. Kumuliert nahm die Klägerin bis zum 31.12.2011 Forderungsabschreibungen in einer Gesamthöhe von … EUR vor, die ihrem Gewinn außerbilanziell jeweils wieder hinzugerechnet wurden.

In ihrer Körperschaft- und Gewerbesteuererklärung für 2012 hatte die Klägerin eine Verrechnung des von der s.a.r.l. in diesem Jahr erwirtschafteten Verlustes in Höhe von … EUR vorgenommen. Diesen berücksichtigte das Finanzamt in den am 27.3.2014 ergangenen Bescheiden über die Körperschaftsteuer 2012 und den Gewerbesteuermessbetrag 2012 nicht.

In seiner Teil-Einspruchsentscheidung vom 18.6.2018 vertrat das Finanzamt die Auffassung, die Verrechnung der Verluste der s.a.r.l. auf Ebene der Klägerin komme weder nach nationalem Recht noch nach Unionsrecht in Betracht.

Ihre Klage, mit der die Klägerin die Berücksichtigung der bis 2012 bei der s.a.r.l. kumulierten operativen Verluste in Höhe von … EUR (… EUR Verlustvortrag auf den 31.12.2011 zuzüglich … EUR Verlust des Streitjahres) im Rahmen der Gewinnermittlung des Streitjahres 2012 begehrte, hatte keinen Erfolg.

Entscheidung

Die Revision wurde vom Bundesfinanzhof (BFH) als unbegründet zurückgewiesen. Entgegen der Auffassung der Klägerin können die "kumulierten operativen Verluste" der s.a.r.l. bestehend aus dem laufenden Verlust des Streitjahres (… EUR) und dem Verlustvortrag auf den 31.12.2011 (… EUR) weder vollständig noch teilweise auf der Grundlage einer unionsrechtskonformen Auslegung der §§ 14 ff. KStG im Inland abgezogen werden.

Hierzu führten die Richter u. a. aus: Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) war zwischen der Klägerin, die unstreitig in den persönlichen Anwendungsbereich des § 14 Abs. 1 KStG fällt, und der s.a.r.l., die nach nationalem Recht keine taugliche Organgesellschaft ist, weil sie weder über eine inländische Geschäftsleitung noch über einen Sitz im Inland verfügte, keine Vereinbarung über eine Gewinnabführung (Verlustübernahme) abgeschlossen worden.

Der BFH hatte bislang keinen Anlass, abschließend zu den Voraussetzungen für eine Verlustverrechnung "über die Grenze" bei einer in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU) ansässigen (verlusterzielenden) Tochtergesellschaft und einer im Inland ansässigen Muttergesellschaft zu entscheiden.

Auch im Streitfall ist nicht abschließend darüber zu entscheiden, ob die "kumulierten operativen Verluste" der s.a.r.l., wie die Klägerin meint, über eine unionsrechtskonforme Auslegung der §§ 14 ff. KStG (und des § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG) – im Sinne einer Restriktion des Tatbestandserfordernisses des Gewinnabführungsvertrags – im Inland abzugsfähig sein könnten.

Der Rechtsprechung des EuGH lässt sich bei einer Übertragung auf die nationalen Organschaftsregelungen jedenfalls nicht entnehmen, dass die begehrte Verlustverrechnung ohne eine zumindest "faktisch gelebte Organschaft" möglich sein könnte, d. h. ohne dass die von der ausländischen Tochtergesellschaft jährlich erwirtschafteten Verluste von der inländischen Muttergesellschaft nach den Vorgaben der anzuwendenden nationalen Regelungen tatsächlich getragen worden sind. Diese Grundvoraussetzung lag im Streitfall nicht vor; nach den Feststellungen des FG fehlte es vor der Geschäftseinstellung der s.a.r.l. an einer den inländischen Organschaftsregelungen entsprechenden tatsächlichen Übernahme der jährlichen Verluste durch die Klägerin.

Im Streitfall vermochte das FG keinerlei Hinweise darauf festzustellen, dass die Klägerin und die s.a.r.l. ein "Organschaftsverhältnis auf faktischer Grundlage gelebt" haben. Denn die Klägerin hat der s.a.r.l. fortwährend Fremdkapital in Gestalt von kreditierten Warenlieferungen (und nicht: Eigenkapital) zur Verfügung gestellt, so dass die Klägerin die laufenden Verluste der Tochtergesellschaft gerade nicht nach Maßgabe der §§ 14 ff. KStG getragen hat.


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