Artikel aus dem Themenbereich: GmbH vom 15. Februar 2024

Zur Wegzugsbesteuerung bei einem Umzug in die Schweiz

Auch wenn nach unionsrechtlichen Vorgaben in Verbindung mit dem sog. Freizügigkeitsabkommen der EU und der Schweiz bei einem im Jahr 2011 erfolgten Wegzug in die Schweiz die im Wegzugszeitpunkt entstehende nationale Steuer auf den Vermögenszuwachs (Wegzugsteuer) dauerhaft und zinslos zu stunden ist, hindert dies die Festsetzung der Steuer nicht.


Hintergrund

Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und seit 2008 Geschäftsführer einer GmbH mit Sitz in der Schweiz. An dieser GmbH ist er seit Gründung der Gesellschaft (im Juli 2007) zu 50 % beteiligt.

Im März 2011 verzog er in die Schweiz, wo er seitdem wohnhaft ist. Das Finanzamt informierte den Kläger, dass es in Folge des Umzugs einen steuerpflichtigen fiktiven Gewinn gem. § 6 Abs. 1 AStG ansetzen werde.

Der Kläger wies darauf hin, dass eine Besteuerung nicht mit dem Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit (Freizügigkeitsabkommen-FZA) vom 21.6.1999 in Einklang stehe. Die Besteuerung nicht realisierter stiller Reserven sei geeignet, eine Person vom Wegzug in die Schweiz abzuhalten. Deutschland habe es versäumt, für den Bereich des FZA eine der Stundungsregelung des § 6 Abs. 5 AStG entsprechende Regelung vorzusehen. Daher finde die Wegzugsbesteuerung keine Anwendung.

Mit Bescheid vom 18.11.2014 setzte das Finanzamt gegenüber dem Kläger die Einkommensteuer für 2011 in fest. Bei den Besteuerungsgrundlagen berücksichtigte es u. a. Einkünfte aus Gewerbebetrieb, d. h. einen fiktiven Veräußerungsgewinn i. S. d. § 6 AStG i. V. m. § 17 EStG. Dagegen erhob der Kläger Einspruch.

Mit der Einspruchsentscheidung reduzierte das Finanzamt die Einkommensteuer aus nicht im Streit stehenden Gründen. Im Übrigen wies das Finanzamt den Rechtsbehelf als unbegründet zurück. Der Kläger zahlte die Wegzugsteuer während des Verfahrens "vorläufig" und hat keine Stundung mehr beantragt.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.

Entscheidung

Die Revision des Finanzamts ist begründet und führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Abweisung der Klage.

Nach Maßgabe des nationalen Rechts ist die Wegzugsteuer im Streitfall durch Einkommensteuerbescheid festzusetzen und nicht zu stunden.

Im Streitfall sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG erfüllt. Die unbeschränkte Steuerpflicht des Klägers, der er mehr als zehn Jahre lang im Inland unterlag, endete durch die mit dem Umzug in die Schweiz einhergehende Aufgabe des inländischen Wohnsitzes. Deshalb ist auf die von ihm gehaltene Beteiligung an der GmbH auch ohne Veräußerung § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG anzuwenden, was zum Ansatz eines fiktiven Veräußerungsgewinns führt.

Eine dauerhafte Stundung der Wegzugsteuer sieht § 6 AStG nicht vor. Die in § 6 Abs. 4 AStG zugestandene zeitlich befristete Teil-Stundung hat der Kläger ausdrücklich nicht (mehr) beantragt; vielmehr hat er die festgesetzte Wegzugsteuer entrichtet, ohne sich auf die in § 6 Abs. 4 AStG tatbestandlich vorausgesetzte "erhebliche Härte" zu berufen. Im Übrigen kommt eine Stundung nach § 6 Abs. 5 AStG nur bei einem Wegzug in einen Mitgliedstaat der EU oder einen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum in Betracht und ist daher im Streitfall (Schweiz) nicht einschlägig.

Das FG hat die Reichweite der in ständiger Rechtsprechung bei Unionsrechtsverstößen zugelassenen sog. geltungserhaltenden Reduktion des nationalen Rechts zu eng bestimmt. Denn es geht insoweit um eine Gesetzesanwendung, die den Anwendungsvorrang des unmittelbar geltenden Unionsrechts unter größtmöglicher Wahrung des nationalrechtlichen Gesetzesbefehls sicherstellt.

Die Unionsrechtswidrigkeit führt danach gerade nicht zu einer vollständigen Unanwendbarkeit oder Nichtigkeit der nationalen Vorschrift. Vielmehr ist dem Anwendungsvorrang des Primärrechts vor nationalem Recht durch das "Hineinlesen" der vom EuGH verbindlich formulierten unionsrechtlichen Erfordernisse in die betroffene Norm Rechnung zu tragen.

Infolgedessen kann es geboten sein, ein "europarechtswidriges Tatbestandsmerkmal" nicht zu beachten oder einen im nationalen Gesetz nicht vorgesehenen Gegenbeweis zuzulassen, im Übrigen aber die Vorschrift in ihrem Bestand zu erhalten.

Nach diesen allgemeinen Maßstäben, die im Schrifttum Zustimmung erfahren haben und auch im Bereich der Anwendung der FZA-Maßgaben Anwendung finden, um eine materiellrechtliche Besserstellung der dortigen Regelungsadressaten im Vergleich zu Unionsrechtsbürgern bei Anwendung der Grundfreiheiten des Vertrags über die Arbeitsweise der EU zu verhindern, ist es zulässig, im Zeitpunkt des Wegzugs in die Schweiz die Wegzugsteuer gem. § 6 Abs. 1 AStG festzusetzen.

Damit wird auch ermöglicht, auf den Zeitpunkt des Wegzugs festzuhalten, auf welchen Anteil des Steuersubstrats das Besteuerungsrecht des Wegzugsstaates entfällt. Zugleich ist aber den vom EuGH verbindlich formulierten Vorgaben dadurch Rechnung zu tragen, dass die im nationalen Gesetz nicht vorgesehene zinslose und bis zur Anteilsveräußerung andauernde Stundung von Amts wegen zu gewähren ist, um dem Steuerpflichtigen die Ausübung seines Rechts, sich in der Schweiz niederzulassen, zu ermöglichen.


Unsere Fachartikel sind nach bestem Wissen redaktionell erstellt. Eine Haftung und Gewähr für deren Inhalt kann jedoch nicht übernommen werden.
Sprechen Sie uns gerne für eine persönliche Beratung an: +49 6173 7835-0

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